Wie King Hu das Star-Wars-Universum prägte

King Hus Wuxia-Meisterwerke sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sich das Kino über Kontinente und Genregrenzen hinweg gegenseitig beeinflusst. In Senses of Cinema erläutert Tony Williams, dass A TOUCH OF ZEN (1971) Elemente des Italowesterns aufgreift [1]. Wir sehen einsilbige Helden, die ihre Fähigkeiten zunächst hinter der Maskerade des harmlosen »Tramp« verbergen. Das unausweichliche Duell mit den Agenten des Dong Shang (Ostagentur) wird zu einem spannungsgeladenen Pas de deux, in dem sich die Kontrahenten wie zwei sprungbereite, aber elegante Raubtiere umkreisen und psychologisch messen, um dann blitzschnell die Waffen zu ziehen und ihre Meisterschaft zu offenbaren. Das erinnert an die von Clint Eastwood und Charles Bronson verkörperten Antihelden in Sergio Leones Filmen. Diese waren wiederum an Akira Kurosawas Rōnin-Figuren angelehnt. Über den Zwischenschritt des Italowesterns zieht der herrenlose Samurai, der sich in den Dienst einer gerechten Sache stellt, also in King Hus Wuxia-Epen ein. Diese Entwicklung entspringt einem ähnlichen Liebesblick, wie er auch zwischen dem Poetischen Realismus des französischen Kinos und dem amerikanischen Film Noir stattgefunden hat. Und wenn Jean-Pierre Melville in den sechziger Jahren seine schweigsamen Einzelgänger durch die dunkle Peripherie der Großstadt hetzen lässt, gleicht dies einem filmgeschichtlichen Matrjoschkaspiel: Der Regisseur greift hier Bilder des amerikanischen Kinos auf, die von französischen Filmen beeinflusst waren.

Vom Bambuswald nach Endor

Mit A TOUCH OF ZEN ist die Wechselwirkung zwischen japanischem Chambara-Genre, Italowestern und chinesischem Wuxia-Film aber noch nicht zu Ende. 1977 wird sie sich schließlich auf das Science-Fiction-Genre ausweiten. Denn George Lucas‘ STAR WARS enthält deutliche Anleihen bei King Hus DRAGON INN (1967): Zehn Jahre später verwandelt Lucas die uniformierten Agenten des Dong Shang in die Sturmtruppen. Die überragenden Schwertfechter der Rebellen werden zu den Jedirittern. Und der hochrangige Repräsentant des Kaiserhofs, der den Rebellen kämpferisch überlegen ist, findet sein Echo in der Figur des Darth Vader. Doch nicht nur DRAGON INN stand für die STAR-WARS-Reihe Pate. RETURN OF THE JEDI (1983) arbeitet mit der gleichen Synästhesie von Naturkulisse und Kampfszenen wie A TOUCH OF ZEN. Die Energieblitze des Imperators sind wiederum den Chi-Kräften des Antagonisten aus COME DRINK WITH ME (1966) entlehnt. Mit dem eleganten Bild des Lichtschwerts und der Idee der »Macht« katapultiert George Lucas King Hus Melange aus Schwertkampf und Zen-Buddhismus in den Weltraum.

Doch nicht nur die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Regisseuren sind aufschlussreich, sondern auch der Blick auf die Unterschiede. In STAR WARS wird der Kampf der Rebellen gegen die Diktatur des Imperiums zum quasireligiösen Märchen, in dem das »Gute« über Irrungen und Wirrungen den Sieg davonträgt. Mit Darth Vader entsagt letztlich selbst der Antagonist der »dunklen Seite«. Bei King Hu hingegen ist das Happy End stets gebrochen: In DRAGON INN gelingt es den Rebellen zwar, eine in das Exil verbannte Familie vor der Ermordung durch Dong-Shang-Agenten zu bewahren. Doch in der letzten Einstellung des Films wirken sie vor der Landschaftskulisse so verloren wie Ethan Edwards in THE SEARCHERS (1956). Am Ende von A TOUCH OF ZEN bleibt nur das Kloster als Schutzraum übrig, in den sich die Helden aus der »gebrechlichen Einrichtung der Welt« zurückziehen. Diesen Schluss sehen wir auch in RAINING IN THE MOUNTAIN (1979). King Hus Pessimismus wird nachvollziehbar, wenn man seine Lebensgeschichte in Betracht zieht. Selbst ein Exilant, mag er sich im Schicksal der Familie Yu aus DRAGON INN wiedererkannt haben. Und hinter der Gewalt der Ming-Dynastie wird eine Kritik am maoistischen China deutlich. Dies spiegelt sich auch in der thematischen Entwicklung der Filme wider: In COME DRINK WITH ME sind die Outlaws noch die Antagonisten. Ein Jahr später, nach der Trennung von den Shaw Brothers, emigriert King Hu nach Taiwan. In DRAGON INN stellt er das Verhältnis zwischen »Gut« und »Böse« auf den Kopf. Nun werden die Rebellen zu Freiheitskämpfern, welche sich gegen die blutrünstige Diktatur auflehnen. Diese Geschichte wird der Regisseur in A TOUCH OF ZEN wieder aufgreifen und zu seiner eigenen Variante des Antikriegsfilms weiterentwickeln. Ob er sich damit nicht nur gegen den Maoismus und seine »Kulturrevolution«, sondern auch gegen die Diktatur auf Taiwan richtet, ist bis heute unklar und wird auch aus King Hus Interviews nicht deutlich.

Neu auf der Leinwand

In diesem Herbst sind A TOUCH OF ZEN und DRAGON INN in einer restaurierten Fassung im Kino zu sehen, die hierzulande von Rapid Eye Movies verliehen wird. Die neue Abtastung gibt den Filmen eine Tiefe, die in den bisherigen DVD-Kopien nicht enthalten war. King Hus Farbdramaturgie, die liebevolle und detailgetreue Ausstattung sowie die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen erscheinen nun viel plastischer. Auf der Leinwand entfaltet auch die Choreographie der Kampfszenen ihre volle Wirkung. Im Vergleich mit King Hus Epigonen wirken sie weitaus realistischer, auch wenn sie mit weniger Blut und sichtbarer Gewalt auskommen. Ein Grund dafür ist, dass hier noch mit Trampolinen statt mit Drahtseilen gearbeitet wurde. Wie King Hus Lieblingsdarstellerin Hsu Feng im Interview berichtet [2], führte das nicht selten zu blauen Flecken bei den Darstellern. Aber es lässt den Zuschauer auch die Schwerkraft spüren, die in CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON (2000) oder HOUSE OF FLYING DAGGERS (2004) aufgehoben scheint. Wenn die Protagonisten dort durch die Lüfte paddeln, wird die Grenze zum fantastischen Film überschritten. Bei King Hu bleiben die Duelle im wahrsten Sinn des Wortes geerdet, und gerade dies verstärkt das menschliche Drama.

A TOUCH OF ZEN und DRAGON INN sind also nicht nur ein Pflichtprogramm für Wuxia-Liebhaber, sondern ermöglichen auch STAR-WARS-Fans einen neuen Blick auf die Wurzeln ihres Filmuniversums.


Quellen

[1]
Tony Williams (2013)
»A Touch of Zen«. In: Senses of Cinema, Ausg. 70
[http://sensesofcinema.com/2013/cteq/a-touch-of-zen/]

[2]
arte Tracks (2015)
»Hsu Feng, die Ninja-Muse«
[http://tracks.arte.tv/de/hsu-feng-die-ninja-muse]


Abbildung

Filmstill aus:
A Touch of Zen. King Hu. Taiwan 1971